Die nationalsozialistische Rassen- und Vernichtungspolitik: Formen künstlerischer Erinnerung in Osteuropa

 
Treblinkamemorial

 


Ты видел все. Запомни и живи. (И. Эренбург)
„Du hast alles gesehen. Bewahre es im Gedächtnis und lebe.“ (I. Ehrenburg)


 

Seit dem WS 2001/2002 besteht am Lehrstuhl für Slavische Literaturwissenschaft des Slavischen Instituts der Universität Heidelberg (Prof. Dr. Urs Heftrich) in enger Zusammenarbeit mit dem Seminar für Osteuropäische Geschichte (Prof. Dr. Heinz-Dietrich Löwe und Frank Grüner M.A.) ein Forschungsprojekt zu dem Thema
 

„Die nationalsozialistische Rassen- und Vernichtungspolitik – Formen künstlerischer Erinnerung in Osteuropa”.

Untersuchungsgegenstand des interdisziplinär wie komparatistisch angelegten Projekts sind die Formen und Inhalte historischen Gedächtnisses, wie sie Eingang fanden in die Belletristik, die Publizistik, den Spielfilm, die Musik und die darstellenden Künste verschiedener Länder und Kulturen Osteuropas von den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart hinein.

Während etwa die westeuropäische und die US-amerikanische den Holocaust reflektierende Literatur und Kunst Gegenstand zahlreicher Untersuchungen sind, fanden die thematisch wie ästhetisch und stilistisch sehr vielfältigen künstlerischen Reflektierungen der nationalsozialistischen Rassen- und Vernichtungspolitik in Osteuropa sowohl in den betroffenen Ländern selbst als auch in Westeuropa und den USA bislang noch vergleichsweise wenig Beachtung.

Dieses Defizit in der Forschung wie in der allgemeinen Wahrnehmung lässt sich im wesentlichen mit der weitgehenden Tabuisierung dieser Thematik durch die sozialistischen Regime Osteuropas erklären, zumindest was die Situation in den Staaten Osteuropas bis zur politischen Wende der Jahre 1989 bis 1991 anbelangt. Bei näherer Betrachtung zeigen sich allerdings auch hier erhebliche Unterschiede im Umgang mit der Thematik in den jeweiligen Staaten bzw. unter den verschiedenen Regimes.

Damit eröffnet sich ein höchst spannendes interdisziplinäres Forschungsfeld, das grundlegend neue Erkenntnisse erwarten lässt, und zwar sowohl hinsichtlich der Untersuchung der künstlerischen Darstellungsweisen und der Analyse der historischen Bedingungen, unter denen die betreffenden Werke entstanden sind, als auch hinsichtlich der gesellschaftlichen und politischen Strukturen und Prozesse insgesamt.

Dabei stehen folgende Fragen und Aspekte im Mittelpunkt des Forschungsinteresses:

  • Welche Aspekte der nationalsozialistischen Rassen- und Vernichtungspolitik werden dargestellt?
  • Welche ästhetischen Ausdrucksmittel werden für diese Darstellung gewählt? (Genres,  Erzählperspektiven, Topoi, historisch-mythische Parallelisierungen, Ästhetik des Schreckens etc.)
  • Inwieweit wurde diese Thematik von offizieller Seite vereinnahmt? Welche Aspekte oder  Inhalte aus dem Themenbereich „nationalsozialistische Rassen- und Vernichtungspolitik“ waren von Seiten des Regimes darstellbar, welche waren umstritten, welche tabu? Welche Rolle spielten die Zensur und Selbstzensur in diesem Zusammenhang? Welche Entwicklungen gab es in der Behandlung dieser Thematik seit den 30er Jahren bis heute?
  • Welche Anzeichen gibt es für eine von der offiziellen Interpretation abweichende Darstellung einzelner Aspekte der nationalsozialistischen Rassen- und Vernichtungspolitik in den Künsten? Welche Rückschlüsse lässt die Art der Behandlung dieser Thematik auf das geistige und politische Klima innerhalb der betreffenden Gesellschaften zu?
  • Inwieweit haben diese Darstellungen in Literatur, Film, Kunst und Musik das historische Gedächtnis der Völker Osteuropas geprägt bzw. tun dies noch heute?

Mit diesen Fragen beschäftigte sich auch ein international besetztes Symposium, das vom 30. Oktober bis zum 2. November 2003 in Heidelberg in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg und unter Finanzierung der Fritz-Thyssen-Stiftung stattfand. Die Tagung diente dazu, Literaturwissenschaftler, Historiker, Kunsthistoriker und Musikwissenschaftler aus verschiedenen Ländern zusammenzubringen, um eine erste Bestandsaufnahme der bisher geleisteten Forschung zu machen, und die bereits begonnene Zusammenarbeit mit führenden wissenschaftlichen Einrichtungen in Russland, Mittel- und Osteuropa, den USA, Kanada und Israel zu intensivieren .

In dem Forschungsmagazin der Universität Heidelberg RUPERTO CAROLA erschien in Heft 2 / 2004 ein ausführlicher Bericht über diese Tagung mit besonderer Berücksichtigung der Vortragenden aus Heidelberg, geschrieben von Frank Grüner und Urs Heftrich (http://www.uni-heidelberg.de/presse/ruca/ruca04-02/zeichen.html.

Die einzelnen Beiträge des Symposiums wurden 2006 in folgendem Sammelband veröffentlicht: „Zerstörer des Schweigens". Formen künstlerischer Erinnerung  an die nationalsozialistische Rassen- und Vernichtungspolitik in Osteuropa.  Herausgegeben von Frank Grüner, Urs Heftrich und  Heinz-Dietrich  Löwe, Köln-Weimar-Wien: Böhlau 2006.

Bereits im Wintersemester 2002/03 fand der neue Forschungsschwerpunkt Niederschlag in das Lehrangebot des Slavischen Instituts der Universität Heidelberg. In zwei Proseminaren über „Holocaust und Sowjetliteratur“ (Frank Grüner M.A.) und über das Werk des polnischen Dichters Tadeusz Rózewicz (Dr. Stahl-Schwaetzer) wurde den Studierenden die Möglichkeit geboten, sich mit verschiedenen Vertretern und Formen der literarischen Erinnerung an die NS-Rassen- und Vernichtungspolitik in der sowjetischen und polnischen Literatur wissenschaftlich auseinander zu setzen. Weitere Lehrveranstaltungen fanden im Sommersemester 2003 statt, u.a. eine Vorlesung zu dem Thema „Der Nationalsozialismus im Spiegel der tschechischen Literatur“ mit einer begleitenden Übung zu „Der Nationalsozialismus im Spiegel des tschechischen Kinos“ (Prof. Dr. Urs Heftrich). Im SS 2004 bot Frank Grüner ein Proseminar zu dem Thema „Jüdische Ghettos in Osteuropa (Warschau, Wilna und Minsk) während der nationalsozialistischen Herrschaft: Organisation, Alltag, Terror und Widerstand in historischen Quellen und literarischen Darstellungen“ an, das sowohl am Seminar für Osteuropäische Geschichte, als auch am Slavischen Institut angeboten wurde. Weitere Lehrveranstaltungen in Bezug zum Forschungsthema sind geplant.

Im Sommersemester 2005 veranstalteten die beiden Institute gemeinsam ein Forschungskolloquium mit dem Titel  "Wie viel Elend und Hunger! Wie viel Trauer und Wege! - Die nationalsozialistische Verfolgung und Vernichtung der Roma und Sinti in der  künstlerischen Erinnerung Osteuropas". Hierzu wurden namhafte Wissenschaftler aus dem In- und Ausland eingeladen.

Angesichts der Breite der Thematik und der Bedeutung des Gegenstands für die Erforschung der Literaturen und Kulturen sowie der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Geschichte verschiedener Länder Osteuropas planen das Slavische Institut und das Seminar für Osteuropäische Geschichte langfristig einen Forschungsschwerpunkt zu dem Thema „Die nationalsozialistische Rassen- und Vernichtungspolitik – Formen künstlerischer Erinnerung in Osteuropa“ an der Universität Heidelberg zu etablieren. Hierzu ist eine enge Kooperation mit dem Musikwissenschaftlichen Seminar, dem Institut für Übersetzen und Dolmetschen und der Hochschule für Jüdische Studien angedacht. Eine finanzielle Förderung dieses Projektes durch Drittmittel wird angestrebt.

Mit weiteren Fragen und Anregungen, die das Forschungsprojekt an der Universität Heidelberg betreffen, wenden Sie sich bitte an:

Felicitas Fischer von Weikersthal, M.A.
Slavisches Institut
Universität Heidelberg
Schulgasse 6
D-69117 Heidelberg
Tel.: ++49/6221/542625
Fax.: ++49/6221/543105
E-Mail: felicitas.fischer.von.weikersthal@slav.uni-heidelberg.de

Professor Dr. Urs Heftrich
Slavisches Institut
Universität Heidelberg
Schulgasse 6
D-69117 Heidelberg
Tel.: ++49/6221/542628
Fax.: ++49/6221/543105

E-Mail: urs.heftrich@slav.uni-heidelberg.de

Englische Version

 
Letzte Änderung: 26.09.2019
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