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Isaak Babel: Mein Taubenschlag. Sämtliche Erzählungen. Neue vollständige, kommentierte deutsche Übersetzung in einem Band

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„Mit seinen kugelrunden Augen hinter den sehr dicken Brillengläsern sah er sich die Leute um uns an, jeden einzelnen, alle, und hatte nie von ihnen genug.“ (Elias Canetti: Isaak Babel, Die Fackel im Ohr, München 1993, S. 272)

 

Am Lehrstuhl für Slavische Literaturwissenschaft des Slavischen Instituts der Universität Heidelberg wird eine neue vollständige, kommentierte deutsche Ausgabe der Prosa von Isaak Babel vorbereitet. Sie wird unter der Herausgeberschaft von Urs Heftrich und Bettina Kaibach, in enger Abstimmung mit Peter Urban (†), im Carl Hanser Verlag erscheinen. Peter Urbans viel gelobte Übersetzung der Reiterarmee (die wir ebenso wie seine wegweisende Edition von Babels Tagebuch 1920 der Friedenauer Presse verdanken) wird durch Bettina Kaibachs Neuübersetzung von Babels umfangreichem übrigen Prosawerk, einschließlich der Geschichten aus Odessa, ergänzt. Für die Zuverlässigkeit des Kommentars sollen die drei Namen Heftrich, Kaibach und Urban bürgen.

 

ISAAK BABEL (30.6.1894 – 27.1.1940) ist nicht nur einer der Großen der Weltliteratur, sondern auch eine exemplarische Gestalt der russisch-jüdischen Geschichte im zwanzigsten Jahrhundert.

In Odessa und Nikolajew im Schatten zaristischer Pogrome aufgewachsen und nicht zuletzt dadurch für die Sache der Revolution gewonnen, erschrieb er sich Weltruhm als „eingebetteter“ Kriegskorrespondent bei Budjonnys roter Reiterarmee. Doch Babels Kosmopolitismus, besonders seine literarische wie familiäre Bindung an Frankreich, machte ihn Stalin verdächtig. Babels grausiges Ende – Folter und Kopfschuss im Moskauer Gefängnis – markierte noch lange nicht das Ende des Leidens für seine Angehörigen, da der Geheimdienst ihn postum noch fünfzehn Jahre lang im Medium fabrizierter Gerüchte weiterexistieren ließ. Erst das Tauwetter schloss dieses gespenstische Fortleben ab und ermöglichte zugleich die Wiederauferstehung des Tabuisierten für seine Leser. Seither dauert Babels Siegeszug durch die Weltliteratur an: als Meister der Kurzgeschichte vom Range Hemingways, als Schöpfer der mythischen Gangstergestalt Benja Krik, als atmosphärisch getreuer Portraitist des Ostjudentums und als schockierend präziser Schilderer von Extremerfahrungen.

Babel war ein herausragender Stilist, der besessen an seinen Texten feilte: „Jede Erzählung lässt mich um Jahre altern“, bekannte er seinem  Kollegen Konstantin Paustowskij. Die Erzählung „Ljubka Kozak“ durchlief nicht weniger als zweiundzwanzig Vorstufen: zweihundert Manuskriptseiten mit Varianten, die Babel schließlich zu einem fünfzehnseitigen Text kondensierte – und dabei war er noch lange nicht sicher, „ob die zweiundzwanzigste Variante druckreif“ sei. Ein Stück Prosa, so Babels Credo, habe so präzis zu sein „wie eine militärische Meldung oder ein Bankscheck“, ein Vergleich genau „wie ein Rechenschieber und natürlich wie der Geruch des Dills.“ Er rang um jedes Komma und sprach selbst einem geschickt plazierten Absatz epiphanische Wirkung zu: „Kein Eisen vermag mit so glühender Kälte ins menschliche Herz zu dringen wie ein zur rechten Zeit gesetzter Punkt“, heißt es in seiner Erzählung Guy de Maupassant.

 

Babels Sprache ist unverwechselbar. Äußerste Lakonie verbindet sich mit barocker Pracht. In der Stimmenvielfalt seiner Texte mischt sich der Jargon odessitischer Ganoven mit dem Pathos biblischer Propheten, die nüchterne Knappheit der Reportage mit der ornamentalen Wortfülle lyrischer Dichtung. Mit dem vom Jiddischen und Ukrainischen geprägten Slang der jüdischen Gangster in den Geschichten aus Odessa hat Babel sogar eine eigene Sprache geschaffen, die längst mythische Qualität erlangt hat und bis heute in Liedern und Anekdoten imitiert wird. Immer wieder lässt Babel unterschiedlichste Register aufeinanderprallen und verleiht seinen Texten dadurch einen spezifischen, eben „babelschen“ Rhythmus. Paradoxerweise wirkt seine Prosa, trotz dieser spannungsgeladenen Vielfalt, daher stets „wie aus einem Guss.“ Das bemerkte schon sein Bewunderer Paustowskij. Auf Paustowskijs Frage: „Wie erreichen Sie das?“ gab Babel eine knappe Antwort: „Nur durch den Stil.“

 

Um diesen Stil zu treffen, bedarf es auch einer Übersetzung aus einem Guss, die den Eigenheiten von Babels Sprache Rechnung trägt. Peter Urban hat diese Herausforderung mit seiner Übersetzung der Reiterarmee auf vorbildliche Weise gemeistert. Urbans Reiterarmee wird daher, mit freundlicher Genehmigung der Friedenauer Presse, in die neue deutsche Gesamtausgabe der Prosa bei Hanser aufgenommen. Bei Babels übriger Prosa hingegen herrscht bislang eine Art babylonischer Verwirrung. An der bislang umfassendsten zweibändigen deutschen Babel-Ausgabe etwa waren nicht weniger als sechzehn (!) Übersetzer unterschiedlichsten Niveaus beteiligt. Dass die spezifische Qualität, die Babels Sprache so unverwechselbar macht, auf diese Weise nicht vermittelt werden kann, liegt auf der Hand. Bettina Kaibachs Neuübersetzung soll diesem Missstand endlich abhelfen – und nicht zuletzt die zahlreichen Ungenauigkeiten und Fehler, die sich in frühere Babel-Übersetzungen eingeschlichen haben, beheben.

 

Die Übersetzung wird mit einem Stipendium der gemeinnützigen Gesellschaft Perewest sowie mit einem Johann-Joachim-Christoph-Bode-Stipendium gefördert. Als Mentorin im Rahmen des Bode-Stipendiums wurde die Übersetzerin und Publizistin Brigitte van Kann ausgewählt.

 

Der Band wird im Herbst 2014 bei Carl Hanser erscheinen.

 

 

 

 

Urs Heftrich & Bettina Kaibach

Letzte Änderung: 14.04.2014
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