Projekt

Vladimír Holan:
Gesammelte Werke
in deutscher und tschechischer
Sprache in 14 Bänden

Projektleitung

Professor Dr. Urs Heftrich

Am Lehrstuhl für Slavische Literaturwissenschaft des Slavischen Instituts der Universität Heidelberg entsteht unter der Herausgeberschaft von Prof. Dr. Urs Heftrich und Dr. Michael Špirit (Karlsuniversität Prag) die international erste umfassende zweisprachige Werkausgabe eines der bedeutendsten tschechischen Lyriker des zwanzigsten Jahrhunderts.

Bild von Holan Bild von Holan

NACHTBLUMEN (1934)
Wohl deshalb wird das Eis des Mondes enden,
schmilzt an der Stirn der Nacht, die fiebrig ist:
weil er sein Sternbuch aufschlug, um zu blenden,
und ihr - gerade ihr längst wißt.

Wohl deshalb nur will die Fontäne strenge
den Wimpern auf den Grund gehn, silberweiß:
weil es schon tagt, und heilig, voller Enge,
jemand um euch auch weiß - - -.

Doch oft ist es nicht Nacht. Nacht wird nicht vorgefunden,
in uns ist Nacht allein!
Wohl deshalb auch versetzt uns jemand Wunden
und sagt, er setze Blumen ein.

Aus dem Tschechischen von Urs Heftrich


VLADIMÍR HOLAN (16.9.1905–31.3.1980) begann seinen dichterischen Weg 1926 im Zeichen der tschechischen Avantgardeströmung des "Poetismus" – wie sein Freund Jaroslav Seifert ( [vgl.] Seiferts Memoiren: "Vladimír Holans fünf Tropfen"), mit dem er lange als ebenbürtiger Kandidat für den Nobelpreis gehandelt wurde. Vom spielerischen Dichtungsverständnis dieser Schule entwickelte er sich jedoch, unter dem Eindruck von Vorbildern wie Mallarmé, Rilke und Valéry, rasch zum prononciertesten Vertreter einer tschechischen "poésie pure" fort. Die Gedichtsammlungen der dreißiger Jahre (Das Wehen, Der Bogen, Stein kommst du...) brachten seine eigene, unverwechselbare Poetik zur Entfaltung: hinter einer lyrischen Form von trügerischer Klassizität experimentierte er hier, bei zunehmender Schroffheit der Diktion, mit kühnen Metaphern, Neologismen, Sprachdeformationen und gedanklichen Paradoxien. Eine radikale Wende in seinem Schaffen führte die Bedrohung und Okkupation der Tschechoslowakei durch das nationalsozialistische Deutschland herbei. In großen lyrischen Kompositionen wie September 1938 und Traum, verließ er den Elfenbeinturm des hermetischen Dichters und wurde erst zum leidenschaftlichen Ankläger der nationalen Tragödie, dann zum begeisterten Sänger der Roten Armee, die die Befreiung gebracht hatte (Rotarmisten). Dies nützte ihm nach der Machtergreifung der Kommunisten nur wenig. Obwohl er sich mit dem neuen Regime nicht in offenem Konflikt befand, konnte er in den Jahren 1949–1955 kein einziges Buch veröffentlichen, und bis 1963 wurden aus seiner Feder allenfalls bibliophile Drucke oder limitierte Neuauflagen von früher erschienenen Werken geduldet. Aus der Zeit des Stalinismus, den "grausamsten Jahren [s]eines Lebens", stammt Holans wohl berühmtester Text: das Poem Nacht mit Hamlet. Das enttäuschte Pathos dessen, der einmal an der Seite der Sowjetunion für die Sache der Menschheit zu kämpfen glaubte, ist in diesem Dialog mit Shakespeares Helden zu reiner Galle geronnen. Mit dem Nahen des "Prager Frühlings" besserte sich Holans Lage vorübergehend. Seine späten Lyrikbände (Asklepios einen Hahn, Das Vorletzte, Mit Gott?) sind durch eine Vorliebe für die Andeutung und Auslassung bei äußerster Verdichtung der Form charakterisiert, die an die Grenzen der Verständlichkeit führt. Damit bezeichnet das Spätwerk in gewissem Sinn eine Rückkehr zu Holans hermetischen Anfängen.

Mit dem "Prager Frühling" wurde Holan auch über die Grenzen seines Landes hinaus bekannt. Übertragungen ins Italienische, Französische, Englische, Schwedische, Spanische, Ungarische, Rumänische – von den außertschechischen slavischen Sprachen ganz zu schweigen – liegen vor. Den Auftakt bildete dabei fast überall die Nacht mit Hamlet, die zuerst (1966) ins Italienische und wenig später (1969) von Reiner Kunze kongenial ins Deutsche gebracht wurde. Franz Wurm trug mit seinen Übersetzungen von Nacht mit Ophelia (1984) und Toskana (1988) weiter dazu bei, Holan im westlichen deutschen Sprachgebiet bekannt zu machen. Dabei zeigte sich Holan in einem ganz bestimmten Profil: vor allem als Schöpfer großer, dissonant-mehrstimmiger Kompositionen in einer tragischen Tonart. Auch Verena Flick betonte in ihrer Auswahl aus Holans Poemen (1980) besonders den Aspekt der Tragik. Ein etwas anderer Holan wurde den Ostdeutschen präsentiert: eine knappe Auswahl von 1985 führt den Antifaschisten und Sänger der Roten Armee vor, der Holan zweifellos auch war.

Heute scheint es an der Zeit, aus diesen verschiedenen Ansichten ein Gesamtbild des Dichters zusammenzusetzen. Die Gesammelten Werke, 2003 begonnen im Verlag Mutabene, Köln, ab 2009 fortgeführt im Universitätsverlag Winter, Heidelberg, sind auf insgesamt vierzehn Bände angelegt. Das Konzept sieht eine Aufteilung der vierzehn Bände auf 9 Lyrik-Bände, 3 Bände mit Holans Poemen und 2 Bänden mit seiner Prosa vor. Die bibliophil ausgestatteten Bücher sollen in einem Takt von zwei Jahren aufeinander folgen. Um den unmittelbaren Vergleich von Original und Übersetzung zu ermöglichen (und die Ausgabe damit auch zitierfähig zu machen), erscheinen alle Bände komplett zweisprachig. Inhaltlich wird jeder Band ein Nachwort und einen Kommentar einschließen – eine Aufgabe, die um so anspruchsvoller erscheint, als es bislang noch keine systematisch kommentierte tschechische Holan-Edition gibt. Die meisten der Texte werden außerdem vollständig neu zu übersetzen sein.

Bereits erschienen sind vier Bände. Band 1 macht Holans kanonisches Frühwerk aus den Jahren 1932–1937 (die drei Lyrikbände Das Wehen, Der Bogen und Stein, kommst du...), Band 2 die Sammlungen Lärmschatten, Ohne Titel und Mozartiana (1937–1954) erstmals vollständig auf deutsch in der Übertragung von Urs Heftrich zugänglich. Band 6 umfasst drei Lyriksammlungen Holans aus den Jahren seines erzwungenen Schweigens: Schmerz, Wein und Angst (1949–1955, übertragen von Viktoria Funk-Nešić in Zusammenarbeit mit Urs Heftrich). Band 8 enthält Holans Huldigungen an Shakespeare (Nacht mit Hamlet, Nacht mit Ophelia) und sein Poem Toskana in den klassischen Übertragungen von Reiner Kunze und Franz Wurm. Im Jahr 2014 wird Band 10 erscheinen: der 1966–1967 entstandene Gedichtband Dem Asklepios einen Hahn in der Übersetzung von Věra Koubová.


Vladimír Holan
Gesammelte Werke in 14 Bänden
Deutsch-tschechische Ausgabe
Herausgegeben von Urs Heftrich und Michael Špirit

Band 1: Lyrik I: 1932–1937: Das Wehen / Der Bogen / Stein, kommst du…
2005. ISBN 978-3-8253-5539-5
Übertragen v. Urs Heftrich, Kommentar v. Urs Heftrich & Michael Špirit, Nachwort v. Urs Heftrich

Band 2: Lyrik II: 1937–1954: Lärmschatten / Ohne Titel / Mozartiana
2012. ISBN 978-3-8253-5983-6
Übertragen v. Urs Heftrich, Kommentar v. Urs Heftrich & Michael Špirit, Nachwort v. Urs Heftrich

Band 6: Lyrik V: 1949–1955: Wein / Angst / Schmerz
2009. ISBN 978-3-8253-5522-7
Übertragen v. Viktoria Funk-Nešić in Zusammenarbeit mit Urs Heftrich, Kommentar v. Viktoria Funk-Nešić, Urs Heftrich & Michael Špirit, Nachwort v. Viktoria Funk-Nešić

Band 8: Epische Dichtungen III: Nacht mit Hamlet und andere Poeme
2003. ISBN 978-3-8253-5540-1
Übertragen von Reiner Kunze & Franz Wurm, Kommentar v. Michael Špirit, Vorwort v. Jiří Gruša, Nachwort v. Urs Heftrich

Band 10: Lyrik VII: 1966–1967: Dem Asklepios einen Hahn
2015. ISBN: 978-3-8253-6375-8
Übertragen von Věra Koubová mit Beiträgen v. Franz Wurm, Kommentar v. Urs Heftrich Michael Špirit, Nachwort v. Urs Heftrich

Kontaktdaten

Professor Dr. Urs Heftrich
Slavisches Institut
Universität Heidelberg
Schulgasse 6
69117 Heidelberg
Tel.: +49 6221 542628
E-Mail: urs.heftrich@slav.uni-heidelberg.de

Universitätsverlag Winter
Handschuhsheimer Schlösschen
Dossenheimer Landstraße 13
69121 Heidelberg
Tel. +49 6221 770260
E-Mail: info@winter-verlag-hd.de
Web: www.winter-verlag-hd.de

Letzte Änderung: 02.02.2023