Projekt

Poetik der Grenzverschiebung:
Kinderliterarische Muster und kulturelle Identität in der polnischen Literatur nach 1989

Projektleitung

Dr. Karoline Thaidigsmann

2016-2020, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)

Das inzwischen abgeschlossene Forschungsprojekt untersuchte Funktionen und Bedeutungszusammenhänge von kinderliterarischem Crosswriting in der polnischen Gegenwartsliteratur. Im Zentrum stand dabei die Frage, inwiefern Crosswriting alternative Zugangsweisen zur Reflexion des kulturellen Selbstverständnisses in Polen bietet. Damit bietet das Projekt eine neue Sicht auf Fragestellungen, Kommunikationsformen und historisch-kulturelle Grundlagen des polnischen Identitätsdiskurses von der Zeit der politisch-gesellschaftlichen Transformation Ende der 1980er Jahre bis in die zweite Dekade des 21. Jhs.

Unter Crosswriting lassen sich literarische Verfahren verstehen, die eine Verschiebung der Grenzen zwischen Kategorien der Kinder- und der Erwachsenenliteratur bieten und damit auch die Adressatengrenzen auflösen. International hat das Phänomen ab den 1990er Jahren starken Auftrieb auf dem Buchmarkt erhalten. Im Zuge einer integrativen Entwicklung innerhalb der Literatur- und Kulturwissenschaften, die zu einer Öffnung für die Kinder- und Jugendliteratur geführt hat, ist es zudem verstärkt zum Forschungsgegenstand literatur- und kulturwissenschaftlicher Disziplinen geworden. In der Slavistik gibt es bislang keine vergleichbare Auseinandersetzung mit dem Phänomen des kinderliterarischen Crosswriting. Dies gilt vor allem für Untersuchungen, die wie das vorliegende Projekt, nicht eine kindliche, sondern eine erwachsene Leserschaft als Adressaten der Texte in den Blick nimmt.

Das Potential, das kinderliterarische Muster, d. h. für Kinderliteratur typische Darstellungsformen als Mittel der Kommunikation gegenüber einem erwachsenen Lesepublikum entfalten, gründet für die polnische Literatur in spezifischen kulturellen Kontexten und gesellschaftlichen Diskursen, die einen breiten Assoziationshintergrund für die Leserschaft bilden. Die Analyse des grenzverschiebenden Schreibens in der polnischen Gegenwartsliteratur erfolgte im hier dargestellten Forschungsprojekt unter Berücksichtigung dieser Kontexte, die dafür unter der Bezeichnung „Kindlichkeitsdiskurs“ zusammengefasst wurden. In Polens Kindlichkeitsdiskurs werden Vorstellungen von Kindlichkeit und Fragen polnischer kultureller Identität enggeführt: Mit dem Begriff „Kind“ korrelierende Bezeichnungen und damit verbundene Vorstellungen gewinnen zentrale Bedeutung als Kategorien nationaler Selbstbeschreibungen und kultureller Zuschreibungen von außen. Die Bedeutung und die Abrufbarkeit, die dem historisch und kulturell weitverzweigten Kindlichkeitsdiskurs – der von Autoren des 19. Jhs (Stanisław Brzozowski, Bolesław Prus) und Witold Gombrowicz über die infantilisierende Kulturpolitik der Volksrepublik und die ambivalente sozialistische Kinderliteratur bis hin zu Postkolonialismusdebatten nach 1989 reicht – spielen für die Crossover-Kommunikation mit erwachsenen Leserinnen und Lesern nach 1989 eine gewichtige Rolle.

Ziel der Untersuchung war somit, die Bedeutung des Crosswriting als alternative Form der Kommunikation im polnischen Diskurs um kulturelle Identität nach 1989 aufzeigen und im Zusammenhang damit eine bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende gesellschaftliche Diskurstradition der Kindlichkeit sichtbar zu machen. In dieser Hinsicht ist die Untersuchung als ein Reflexions- und Diskussionsangebot zu verstehen: Indem sie ganz unterschiedliche Texte unter dem gemeinsamen Aspekt des grenzverschiebenden Schreibens zwischen Kinder- und Erwachsenenliteratur in den Blick nimmt, erkundet sie, welchen Erkenntnisgewinn die Crossover-Perspektive für den polnischen Identitätsdiskurs bietet.

Das Projekt wurde mit der Publikation einer Monografie abgeschlossen

Aus dem Projekt hervorgegangene Publikationen:

Karoline Thaidigsmann: Poetik der Grenzverschiebung. Kinderliterarische Muster, Crosswriting und kulturelles Selbstverständnis in der polnischen Literatur nach 1989, Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2022. [Inhaltsverzeichnis]



Karoline Thaidigsmann: „Post-Socialist Identity between Slavic Gods, the Graeco-Roman and the Christian Tradition. A Reading of Dorota Terakowskas Crossover Novel The Loneliness of the Gods“, in: Katarzyna Marciniak (Hg.): Our Mythical History: Children’s and Young Adults’ Culture in Response to the Heritage of Ancient Greece and Rome (Reihe: Our Mythical Childhood), Warschau, erscheint voraussichtlich 2021 [von Herausgeberin angenommen, im Druck].

Karoline Thaidigsmann: „Memory Studies and the Analysis of Crossover Literature. Methodology and Case Study (Poland)“, in: Researching Memory and Identity in Russia and Eastern Europe – Interdisciplinary Methodologies, hg. v. Oliver Jones und Jade McGlynn, Palgrave Macmillan, 2022.

Karoline Thaidigsmann: „Engaging the Reader − Revising Patriotism: Polish Children’s and Crossover Literature in the Twenty-First Century“, in: Youth and Memory in Europe. Defining the Past, Shaping the Future, hg. v. Félix Krawatzek und Nina Friess. Berlin: De Gruyter, 2022.

Karoline Thaidigsmann: „(Non-)Flying Horses in the Polish People’s Republic. The Crisis of the Mythical Beast in Ambivalent Polish Children’s Literature“, in: Katarzyna Marciniak (Hg.): Chasing Mythical Beasts. The Reception of Ancient Monsters in Children’s and Young Adults’ Culture [Studien zur europäischen Kinder- und Jugendliteratur, Bd. 8], Heidelberg 2020: 339-356. Band abrufbar hier.

Letzte Änderung: 03.02.2023